Das zehntürmige Rathaus nebenan das bekannte Hotel Sonne Frankenberg

Collegium Philippinum

Frankenberg lässt jahrhundertealtes Recht wiederaufleben

Das Präsentationsrecht macht’s möglich

Die 20-jährige ist nicht ganz zufällig dort gelandet, denn sie wurde von der Stadt Frankenberg „präsentiert“. Möglich gemacht hat das ein jahrhundertealtes Recht, das die Stadt im letzten Jahr hat wiederaufleben lassen: das sogenannte Präsentationsrecht. Das Recht geht zurück auf die Gründungszeit der Universität Marburg und die Anfänge des Wohnheims. Frankenberg ist eine von heute noch knapp 30 Präsentationsstädten der Stipe aus Mittel- und Nordhessen. Diese Städte waren seit der Gründung des Collegium Philippinum im Jahr 1529 durch Landgraf Philipp wichtige Finanzierer des einstigen Stipendiatenwohnheims der Universität Marburg. Im Gegenzug erhielten die Städte das Präsentationsrecht und konnten geeignete Studienkandidaten nach Marburg an die Uni schicken, um sie akademisch ausbilden zu lassen.

Die wenigsten Präsentationsstädte nutzen allerdings ihr Recht heute noch. Auch Frankenberg hat das Präsentationsrecht lange Zeit ruhen lassen. Bis in die 1970er-Jahre war die Stadt aktive Unterstützerin und hat auch regelmäßig vom Präsentationsrecht Gebrauch gemacht. Dann zog sie sich zurück und erst 2024 wurde das jahrhundertealte Recht wieder aufgegriffen. Im letzten Sommer hatte die Stadt Studieninteressierte aktiv aufgerufen, sich für den Platz zu bewerben. „Nach einem Vorstoß aus der Verwaltung haben wir im Magistrat beschlossen, das historische Recht wieder wahrzunehmen“, erklärt Frankenbergs Bürgermeisterin Barbara Eckes. „Gute Ausbildungsbedingungen und gut ausgebildete Menschen sind wichtig, eine engere Verbindung mit der Universität Marburg kann nicht schaden“, ist sie überzeugt.

Mit Engagement zum Wohnheimplatz

Wichtig war der Stadt bei der Bewerbung das soziale oder gesellschaftspolitische Engagement der Bewerberinnen und Bewerber, denn Engagement erwartet auch die Bewohnerschaft der Stipe. Diese Bedingung hat Felina Karle voll erfüllt: Die ehemalige Edertalschülerin war schon in Frankenberg vielfach engagiert in der evangelischen Kirchengemeinde, hat als ausgebildete Jugendleiterin eine Jugendgruppe betreut und war Digital-Lotsin im Projekt „Digital im Alter“. Auch in Marburg bringt sie sich inzwischen schon ein und engagiert sich beim „Rosengarten“ der Evangelischen Studierendengemeinschaft (ESG). Innerhalb des Projekts besucht sie Kinder und Jugendliche in der Psychiatrie und spielt mit ihnen.

Von dem besonderen Marburger Wohnheim hatte sie im Vorfeld schon gehört, nicht aber vom Präsentationsrecht. Den Aufruf der Stadt hat sie kurzfristig über die Jahrgangsgruppe mitbekommen. „Da war nicht viel Zeit“, erzählt sie im Rückblick. Jetzt liegt das erste Semester an der Uni Marburg gerade hinter ihr und neben dem Schloss hat sie sich inzwischen bestens eingelebt. „Ich bin ganz happy, dass ich jetzt schon in der Stadt wohne, in der ich studiere.“

Selbstverwaltung als Grundprinzip

Besonders gut gefällt der Studentin dabei das demokratische Prinzip der Selbstverwaltung, das seinen Ursprung in den 1970er-Jahren hat. „Das finde ich auch echt richtig cool hier, dass man da wirklich immer ins Gespräch kommt. Die Uni gibt einige Vorgaben, aber über das meiste können wir einfach abstimmen.“ Die wöchentliche „Hausversammlung“ ist der einzige Pflichttermin innerhalb der Wohngemeinschaft, hier wird über alles abgestimmt und die Mehrheit entscheidet. „Über die Hausversammlung und die dortigen Diskussionen über Hausangelegenheiten habe ich das Gefühl, mich hier wirklich einbringen zu können“, erklärt die 20-jährige. Ein gewisses Engagement innerhalb der Wohngemeinschaft wird darüber hinaus erwartet und jede und jeder erhält ein Amt. Felina Karle hat das Wohnzimmer- und Bibliotheksamt und sorgt entsprechend für Ordnung in den Gemeinschaftsräumen. Die weiteren Aktivitäten sind freiwillig, jede und jeder bringt sich nach eigenem Interesse ein.

Das Wohnheim ist unterteilt in kleinere Einheiten, jeweils sechs bis elf Studierende teilen sich eine Küche und ein Bad. Gewohnt wird überwiegend in Einzelzimmern und einer Handvoll Doppelzimmern. Auch ein Zimmer mit Namen „Frankenberg“ gibt es darunter. Felina Karle teilt sich ihr Zimmer mit schönem Blick über die Stadt aktuell mit einer Studentin aus Ungarn. Für gemeinsame Aktionen gibt es einen Speisesaal und verschiedene Aufenthaltsräume sowie eine große Küche, in der ein- bis zweimal pro Woche zusammen gekocht wird. Verschiedene Gärten, darunter auch der „Paradiesgarten“ über den Dächern der Stadt, komplettieren das Gelände. Unschlagbar ist in der Unistadt Marburg auch der Preis für das Wohnen neben dem Schloss. Etwas mehr als 120 Euro zahlt die Studentin für ihren Platz im Doppelzimmer. Die Einzelzimmer kosten etwas mehr.

Internationales Zusammenleben

Einen „Kulturschock“ hat die junge Frau nach dem Umzug aus Frankenberg nach eigener Aussage nicht erlebt. Aber das Zusammenleben in der großen und auch internationalen Gemeinschaft macht Eindruck bei der Frankenbergerin: „Es hat sich etwas in meiner Einstellung verändert. Ich war vorher schon immer offen für alle Menschen. Hier bin ich dann einfach nochmal mehr gezwungen, in Kontakt mit anderen Menschen zu kommen. Wir haben hier superviele Nationalitäten und man bekommt hier sehr viel von anderen Lebensrealitäten mit.“ Sie profitiere auch von den Erfahrungen der Mitbewohner aus höheren Semestern und davon, „dass so fächerübergreifend zusammengewohnt wird.“ Und: „Man lernt hier auf jeden Fall gut Kritik zu üben, aber auch anzunehmen.“ Beispielhaft nennt sie mit einem Grinsen die „unterschiedlichen Konzepte von Sauberkeit“ der einzelnen Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. „Da muss man einfach auch auf andere Leute eingehen und Kompromisse finden.“ Das stärke die Argumentationsfähigkeit – und das sei schließlich etwas fürs Leben, sagt die 20-jährige.

 

„Der Platz hat mir eine große Tür geöffnet“

Die sozialen Kontakte sind für die Studentin aber auch sonst das, was sie am Zusammenleben am meisten schätzt: „Was ich am Leben hier toll finde, dass eigentlich immer jemand da ist.“ Am Anfang habe sie der Gedanke abgeschreckt, gar nicht allein sein zu können und keinen Raum für sich zu haben. „Mittlerweile ist es das, was ich am tollsten finde! Menschlich ist es richtig gut, man ist hier nicht einsam.“ Entsprechend positiv fällt die Bilanz nach dem ersten Studiensemester in Marburg aus: „Das Präsentationsrecht hat es mir sehr einfach gemacht, dafür bin ich super dankbar. Der Platz hat mir einfach eine große Tür geöffnet, da bin ich sehr froh drüber.“

Pläne für nach dem Studium hat Felina Karle aktuell noch nicht: „Ich kann als Pädagogin mit jeder Altersgruppe zusammenarbeiten, was sehr gut ist, weil ich noch nicht weiß, was ich genau machen möchte.“ Praktika habe sie im Bereich mit Kindern gemacht, könne sich aber auch eine Arbeit mit Erwachsenen vorstellen. Erstmal liege die Priorität auf dem Studium. „Auf jeden Fall kann ich mir vorstellen, hier noch länger wohnen zu bleiben.“ Schlechte Nachrichten also für alle zukünftigen Interessierten, denn erst wenn sie eines Tages wieder auszieht, kann Frankenberg wieder vom Präsentationsrecht Gebrauch machen. Einen Trost gibt es dennoch: Bewerbungen sind unabhängig von der Präsentation durch eine Stadt zu jedem neuen Semester möglich. Alle Infos gibt es unter https://www.uni-marburg.de/de/stipe.